Zu § 184

§ 184 Abs. 1 LVwG ermächtigt die Polizei generalklauselartig zu Datenerhebungseingriffen bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, die nicht dem VersG unterliegen. Insofern ergänzt die Regelung den § 16 VersFG SH⁶⁾

, der ausschließlich für öffentliche Versammlungen im Sinne des VersFG gilt. Maßnahmen nach dieser Vorschrift greifen regelmäßig in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bzw. subsidiär in die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Zulässig ist nach § 184 LVwG nur die offene Datenerhebung. Das verdeckte Fertigen von Bild- und Tonaufzeichnungen ist in § 185 LVwG geregelt. Allerdings können sich offene Datenerhebungen und verdeckte im polizeilichen Einsatz überschneiden. Öffentliche Veranstaltungen sind in diesem Zusammenhang planmäßige, zeitlich eingegrenzte, aus dem Alltag herausgehobene Ereignisse, welche nicht nach Zahl der anwesenden Personen, sondern nach ihrem außeralltäglichen Charakter und jeweils spezifischem Zweck vom bloßen Verweilen an einem Ort abgegrenzt und in der Regel jedermann zugänglich sind, auf einer besonderen Veranlassung beruhen und regelmäßig ein Ablaufprogramm haben.⁷⁾

7) BGH, NJW 1991, S. 2715.

Hierunter fallen Sportwettkämpfe, kulturelle Veranstaltungen, Volksfeste, Rock-Festivals, Open-Air-Konzerte pp., also jede von einer natürlichen oder juristischen Person organisierte Zusammenkunft zu Vergnügungs-, Bildungs- oder sonstigen Zwecken, zu der der Eintritt nicht namentlich oder sonst individuell beschränkt ist. Ein Ausschluss bestimmter Personen oder Personengruppen steht dem Begriff der Öffentlichkeit ebenso wenig entgegen, wie das Erfüllen bestimmter Zutrittsbedingungen (z.B. Erheben von Eintrittsgeld). Gleichgültig ist auch, ob der Veranstalter zunächst zu einer geschlossenen Veranstaltung eingeladen hatte oder er diese erst später als nichtöffentlich bezeichnet. Daher kann jede Mitgliederversammlung öffentlichen Charakter haben, wenn wahllos Gäste zugelassen werden. Als Ansammlung gilt jede Zusammenkunft einer größeren Anzahl von Personen unabhängig von einem bestimmten Anlass. Ihre Zusammenkunft ist oder wird jedoch nicht organisiert; es wird nicht dazu eingeladen. Es ist eher eine zufällig (spontan) zusammengekommene Menschenmenge, die sogar möglicherweise ein gemeinsames Ziel vor Augen hat. Sie will das Ziel aber nicht durch gemeinsames Handeln erreichen. Jeder Teilnehmer der Ansammlung handelt für sich allein im Gegensatz zu einer Mehrheit von Menschen, die zusammengekommen sind, um gemeinsam in öffentlicher Angelegenheit durch Diskussion oder Demonstration eine Aussage zu machen. Ansammlungen entstehen oft aus Neugierde oder Sensationslust der Menschen wie z.B. bei Verkehrsunfällen, Bränden, Naturkatastrophen wie auch durch Zuschauer oder Schaulustige bei Auftritten von Prominenz. Ein klassisches Beispiel stellen Schaulustige an einer Unfallstelle („Gaffer“) dar. Materielle Voraussetzung für die Datenerhebung ist, dass Tatsachen dafürsprechen, dass bei oder im Zusammenhang mit der Veranstaltung oder der Ansammlung Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung von Teilnehmern begangen werden. Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten begangen werden oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung drohen und dadurch Störungen der öffentlichen Sicherheit entstehen könnten, sind alle anlassbezogene Hinweise. Dazu zählen beweiskräftige Umstände aus eigenen Aufklärungsergebnissen, aus Hinweisen seitens der Bevölkerung oder auch von anderen Behörden. Keine Tatsachen sind allgemeine Erfahrungssätze ohne konkreten Bezug zum jeweiligen Geschehen, § 179 Abs. 3 LVwG. Bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen ist die personenbezogene Datenerhebung zulässig. Diese Formulierung macht deutlich, dass hier ein einheitlicher Lebenssachverhalt gemeint ist. „Im Zusammenhang“ meint die sog. An- und Abmarschphase und damit auch die An- und Abreise in ihrer ganzen Dauer. Somit ist der Zeitraum vor und nach der Veranstaltung/Ansammlung abgedeckt, aber nur wenn ein enger zeitlicher und räumlicher Bezug zum Ausgangsanlass herstellbar ist. Betroffene können zum einen die für die konkrete Gefahr/Störung verantwortlichen Personen sein, also im Regelfall Besucher. Die Veranstalter oder eigentlichen Akteure nur dann, wenn sie selbst gefahrenträchtig in Erscheinung treten und somit als Störer im Sinne von §§ 218/219 LVwG angesehen werden müssen. Die Begriffe Straftaten und Ordnungswidrigkeiten werden im Gesetz nicht näher definiert und auch nicht auf bestimmte Delikte eingeschränkt. Ferner stellt der Gesetzgeber hinsichtlich eines erwarteten Verwaltungsunrechts auf Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung ab. Damit wird nicht jede Begehung von Ordnungswidrigkeiten zum Anlass von Datenerhebungen, sondern neben dem reinen Formalverstoß muss zusätzlich noch ein gefahrenabwehrrechtlich relevantes Schadenspotenzial treten (z.B.: das Abbrennen von Feuerwerkskörpern). Dies gilt insbesondere für die sog. Fan-Kurven in Sportstadien und deren Zu- und Abgänge. Der Zusatz „von erheblicher Bedeutung“ muss auch als Hinweis verstanden werden, dass beim Fertigen von Bildaufnahmen, Bild- und Tonaufzeichnungen der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße zu beachten ist.